„Ramia ist abgeschlachtet worden wie ein Schaf“

„Ramia ist abgeschlachtet worden wie ein Schaf“

Mit 15 Messerstichen tötet ein junger Syrer seine schwangere Schwester bei einer Familientragödie in Hanau. Das Motiv: Die 30-Jährige ging fremd und soll Sexvideos an einen Geliebten verschickt haben.

Was bringt einen jungen Mann dazu, seine schwangere Schwester in einem Gewaltexzess mit einem Messer hinzurichten? Diese Frage schwebt über dem Totschlagsprozess am Landgericht Hanau.

Auf der Anklagebank sitzt der syrische Bürgerkriegsflüchtling Mostafa A. Der 22-Jährige hat zum Verhandlungsauftakt Anfang des Monats bereits gestanden, seine 30 Jahre alte Schwester Ramia A. im Januar in deren Hanauer Wohnhaus niedergestochen zu haben.

Ramia A. wurde mit 15 Messerstichen förmlich niedergemetzelt. Oberstaatsanwalt Jürgen Heinze sagte in seinem Plädoyer am Freitag: „Für mich ist Ramia abgeschlachtet worden wie ein Schaf.“ Das Opfer sei mit gezielten, wuchtigen Messerhieben in die Luftröhre „geschächtet“ worden. Tatwaffe war ein Küchenmesser mit Klingenlänge 18 Zentimeter.

Lebenslängliche Freiheitsstrafe gefordert

Heinze forderte am Freitag deswegen in seinem Schlussvortrag eine lebenslängliche Freiheitsstrafe, weil der Tatbestand des Totschlags in besonders schwerem Fall erfüllt sei. So weit wollte der Verteidiger nicht gehen. Er hält neuneinhalb Jahre für angemessen.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist es eine kulturell geprägte Tat wegen einer vermeintlich verletzten Familienehre. Hatte Ramia als Ehebrecherin Schande über ihre Familie gebracht?

Nach Schilderungen von Prozessbeteiligten hatte die Frau eine Affäre. Ihrem Liebhaber soll sie rund 80 Sexvideos von sich geschickt haben. Beweisen ließ sich das aber nicht. Die Speicherkarte wurde beschädigt, der Empfänger habe die Erotikclips gelöscht.

Ramias Ehemann Ayman A. wollte sich wegen der Eskapaden in der kriselnden Ehe von seiner Frau trennen. Er drohte damit, die pikante Sache mit den Sexvideos öffentlich zu machen und die Familie anzuprangern. Bei der verhängnisvoll eskalierten Aussprache am Abend des 7. Januar wirft er den beiden Brüdern vor, was sie denn da für eine „Schlampe“ in der Familie hätten.

Der Verteidiger von Mostafa A. hält das für eine gezielte Provokation, damit er seine untreue Ehefrau loswird.

Wie konnte es zur Bluttat kommen?

Eine Unterredung in der Wohnung der Eheleute mit den beiden Brüdern, Mostafa und dem älteren Mohammad A. (26), eskaliert. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Im Treppenhaus sticht Mostafa A. seine Schwester nieder. Kein Nachbar in dem heruntergekommenen Mietshaus kommt zu Hilfe. Der ältere Bruder sieht seine röchelnde Schwester dort liegen – und kümmert sich nicht um sie.

Vor Prozess räumt er nur ein, Ramias Ehemann wegen seiner Provokationen gewürgt zu haben. Mohammad ist letztlich nur wegen Körperverletzung angeklagt. Nach der Tat flüchten die Brüder in einem Taxi. Am Nachmittag des Folgetages werden sie bei Trier von der Polizei gefasst.

Wie es zur Bluttat kommen konnte? Mostafa A. kann es sich nach eigener Aussage nicht erklären. Er bereut es, sitzt mit stetig gesenktem Kopf im Gerichtssaal und folgt den Übersetzungen des Dolmetschers. In der Einlassung seines Verteidigers ließ er verlauten: Es war eine Tat im Affekt, eine Kurzschlusshandlung.

Bürgerkriegsflüchtling als schuldfähig eingestuft

Der psychiatrische Gutachter gab am Freitag Einschätzungen zu Mostafa ab. Er bezeichnete den traumatisierten Bürgerkriegsflüchtling als schuldfähig. Er sei vollkommen steuerungs- und einsichtsfähig gewesen. Eine tief greifende Bewusstseinsstörung zum Tatzeitpunkt sei unwahrscheinlich gewesen. Nach Angaben des Gutachters sprechen die gezielt gegen den Hals gerichteten Stiche und Schnitte mit dem Messer gegen eine wilde Affekt-Tat. So sieht es auch Oberstaatsanwalt Heinze. Das Urteil wird am 26. September verkündet.

Ein „geplanter Ehrenmord“ im klassischen Sinne sei die Tat nicht gewesen, sagte Heinze. Er sprach von einem emotionalen Gewaltausbruch aus der Situation heraus. „Es ging um gekränkte Familienehre.“ Und um diese Scharte auszuwetzen, habe er – aufgestachelt vom gehörnten und erzürnten Ehemann – die Tat kaltschnäuzig und abgebrüht durchgezogen.

Einer Studie des Bundeskriminalamtes zufolge ist eine unerwünschte Liebesbeziehung meist Auslöser für Tötungsdelikte aus vermeintlich verletzter Ehre. In einer Gesellschaft, in der individuelle Freiheit wenig, die Familie aber alles bedeute, seien oft mehrere Verwandte involviert, erklären Fachleute. Laut Amnesty International kommen solche Verbrechen vor allem in islamischen Ländern vor.

Hinter den Verbrechen stecken laut der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes meist keine religiösen Motive. Ursache sei das patriarchalische – also männlich dominierte – Denken der Täter, die Frauen als Besitz betrachteten. Weicht die Frau von den althergebrachten Normen ab, gilt der Mann als „Opfer“, denn er hat seine angebliche Ehre verloren. Im Extremfall kommt es zum Mord.

Quelle: Welt

Foto: dpa

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