Angeklagter bei Gruppenvergewaltigung in Freiburg: „Es war für uns wie ein Traum“
Dramatischer Verhandlungstag im Prozess um die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen in Freiburg
Verteidigerinnen schreiben im Gerichtssaal Weihnachtskarten
Das öffentliche Interesse an dem Prozess ist merklich abgeflaut. Nur noch wenige Zuschauer und Journalisten verlieren sich im Saal. Und auch bei einigen Verfahrensbeteiligten scheint die Luft nach einem halben Jahr Verhandlungsstress raus zu sein. „Gibt es etwas Langweiligeres als diesen Prozess?“ So begrüßt etwa der Freiburger Rechtsanwalt Jörg Ritzel (er verteidigt den Hauptangeklagten Majd H.) an diesem Morgen den Dolmetscher im Gerichtssaal.
Zwei Verteidigerinnen vertreiben sich die Zeit bis zum verzögerten Verhandlungsbeginn mit einer für den ernsten Anlass merkwürdigen Tätigkeit: Sie schreiben fleißig Weihnachtskarten. Es wird gewitzelt und gelacht.
Der Ermittlungsführer der Polizei schildert, was drei Angeklagte bei ihren Vernehmungen ausgesagt haben. Demnach erklärten sie, die Frau habe in einem Gebüsch vor der Diskothek „dreckigen Sex“ verlangt und angeblich gerufen: „Nimm meinen Körper, mach was du willst.“
Es ist einer der aufwühlendsten Strafprozesse des Jahres: Vor dem Landgericht Freiburg müssen sich elf Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren wegen einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung verantworten, die meisten von ihnen Flüchtlinge aus Syrien.
Mutmaßliche Vergewaltiger: Acht Männer in U-Haft
Die Staatsanwaltschaft legt ihnen zur Last, im Oktober 2018 eine 18-jährige Studentin nachts vor einer Diskothek vergewaltigt bzw. ihr nicht geholfen zu haben. Zuvor sei die junge Frau mit einer Mischung aus Alkohol und Drogen wehrlos gemacht worden. Die Beschuldigten – acht von ihnen sitzen seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft, drei wurden inzwischen entlassen – schweigen zu den Vorwürfen oder bestreiten sie.
Mit welcher Vehemenz sie das tun, wird an diesem Dienstag überdeutlich, dem 25. Verhandlungstag. Die Jugendkammer unter dem Vorsitzenden Richter Stefan Bürgelin hat einen wichtigen Zeugen geladen, einen Polizisten.
Kripo-Beamter als Zeuge: Er vernahm mehrere Beschuldigte
Es handelt sich um Stephan S. Der Kriminaloberkommissar aus Freiburg hat die Ermittlungen zu dem Fall geleitet und mehrere Angeklagte kurz nach deren Festnahme vernommen. Darunter den Hauptbeschuldigten Majd H. sowie die mutmaßlichen Mittäter Ahmed Al H. und Mustafa I.
Vor Gericht erläutert der Kriminalbeamte, was die jungen Männer den Fahndern erzählt hatten. Ihre Schilderungen weisen große Übereinstimmungen auf und dürften in den Ohren der Nebenklägerin, die laut Staatsanwaltschaft ein unvorstellbares Martyrium über sich ergehen lassen musste, wie Hohn klingen.
Angeklagter erklärte: “Ich habe keine Gewalt angewendet”
So diktierte Ahmed Al H. den Polizisten ins Protokoll: „Es war für uns wie ein Traum. So etwas ist uns noch nie passiert.“ Mit „Traum“ meinte er, dass die 18-Jährige angeblich freiwillig Sex mit mehreren Männern gefordert hatte. Ahmed Al H.: „Ich habe keine Gewalt angewendet.“ Und weiter: „Sie wollte das doch. Wenn ich sie vergewaltigt hätte, hätte sie schreien können.“
Ahmed Al H. war als Erster der elf Verdächtigen festgenommen worden. Seinen Angaben zufolge kam er zusammen mit seinem Kumpel Mustafa I. in den Club. Bereits in der Stadt habe man reichlich Wodka und Whiskey getrunken. In der Diskothek sei dann ein junger Mann auf ihn zugekommen, habe ihn um eine Zigarette gebeten und schließlich gefragt, ob er Sex haben wolle. Draußen sei eine Frau, die danach verlange.
Junge Frau im Gebüsch forderte angeblich “starken Sex”
Gemeinsam mit seinem Kumpel sei er rausgegangen in Richtung eines Gebüschs, erklärte Ahmed Al H. gegenüber der Polizei. „Sie lag auf dem Boden, nackt.“ Die Frau habe gesagt, sie wolle „keinen normalen Sex“, sondern „starken Sex“. Der Angeklagte: „Sie hat nicht nach Hilfe geschrien. Es war Verlangen nach Sex.“
Ähnlich äußerte sich der Hauptbeschuldigte Majd H. Auch er gab an, die Initiative sei von der Frau ausgegangen, und zwar von Beginn an. Als er sie in dem Freiburger Club gesehen habe, sei sie sofort auf ihn zugegangen. Sie habe seine Tätowierung bewundert und dabei seinen Arm gestreichelt. „Du bist geil“, soll sie angeblich zu ihm gesagt haben, worauf er sich bedankt haben will.
Hauptangeklagter: Wollte meine Hose wieder hochziehen
Er lud sie auf einen Drink ein und sprach dabei über seine anderen Tattoos, auch das am Oberschenkel. „Sie wollte es sehen“, sagte Majd H. der Polizei. Gemeinsam hätten sie den Club verlassen. Im Gebüsch habe er seine Hose heruntergezogen, um der Frau das Kunstwerk zu zeigen. Daraufhin, so der Angeklagte, habe sie angefangen, ihn zu streicheln – angeblich völlig überraschend und gegen seinen Willen. Er habe er sogar noch versucht, seine Hose wieder hochzuziehen.
Schließlich habe man sich „richtig lange geküsst“. Danach habe er sie gefragt: „Was willst du?“ Angeblich soll sie gesagt haben, sie wolle Sex mit ihm.
18-Jährige bat angeblich: “Dein Freund soll schnell kommen”
Majd H. schilderte in seiner Vernehmung, er habe sich zunächst geziert und eine Erektionsstörung gehabt. Doch die Frau habe nicht lockergelassen: „Nehme meinen Körper und mach, was du willst“, soll sie ihn aufgeheizt haben. Als er fertig war, soll sie weiter massiv nach Sex mit anderen Männern verlangt haben: „Dein Freund soll schnell kommen.“
Mit dieser „Ansage“ sei er zurück in den Club gegangen, habe seinen Kumpel Alaa Al M. geholt und zum Gebüsch geführt. Er habe gehört, wie die Frau seinen Kumpel angeblich zum Geschlechtsverkehr aufforderte. Außerdem habe er mitbekommen, „wie sie es genießt“, so Majd H. Nach zwei Minuten sei Alaa Al M. aus dem Gebüsch herausgekommen.
Polizeiführer: Reihenfolge der Taten lässt sich nicht ermitteln
Unter den Freunden von Majd H. sprach sich der Vorfall schnell herum. Einer nach dem anderen ging aus dem Club, um Sex mit der jungen Frau zu haben. Wer in welcher Reihenfolge „dran war“, lässt sich nach Aussage des Ermittlungsführers nicht mehr mit Sicherheit sagen.
Sicher hingegen ist, dass die Aussagen der Angeklagten mit größter Vorsicht zu behandeln sind.
Angeklagter der Lüge überführt: Alibi geplatzt, DNA gefunden
So beteuerte Alaa Al M., er sei am Tag der Tat gar nicht in Freiburg gewesen, sondern bei seiner Freundin in Karlsruhe. Den Vorwurf, ein Vergewaltiger zu sein, stritt er vehement ab: „Wenn Sie andere Beweise gegen mich finden, können Sie die Strafe zehnfach erhöhen“, tönte er im Polizeiverhör.
Dumm für ihn: Seine Freundin konnte das Alibi nicht bestätigen, außerdem stellte die Polizei Spermaspuren von Alaa Al M. an dem 18-jährigen Opfer von Freiburg fest.
Fahnder stufen Aussagen der Frau als glaubwürdig ein
Die Aussagen der Angeklagten widersprechen den Schilderungen der Geschädigten, die laut Polizei als glaubwürdig einzustufen sind. Die 18-Jährige hatte sich am Morgen nach der Tat bei der Polizei gemeldet. Sie stand unter Schock, wirkte aufgelöst und verzweifelt. Die Frau gab an, von mehreren Männern nacheinander vergewaltigt worden zu sein.
Ausgangspunkt sei das Aufeinandertreffen mit Majd H. gewesen. In einem Wäldchen neben der Diskothek habe er seine Hose runtergelassen. Die Frau habe sich das Tattoo angeschaut und zurück in den Club gehen wollen. Da habe Majd H. sie zu Boden gerissen und vergewaltigt. Schließlich seien 10 bis 15 weitere Männer gekommen und hätten sich an ihr vergangen. Sie habe keine Kraft gehabt, sich zu wehren oder um Hilfe zu schreien.
Welche der beiden Versionen – die der Angeklagten oder die der 18-Jährigen – richtig ist, versucht das Landgericht seit Juni 2019 herauszufinden. Eine schwierige und mühevolle Aufgabe. Das Urteil, ursprünglich um Weihnachten erwartet, fällt voraussichtlich erst im Frühjahr 2020.
Verteidigerinnen schreiben im Gerichtssaal Weihnachtskarten
Das öffentliche Interesse an dem Prozess ist merklich abgeflaut. Nur noch wenige Zuschauer und Journalisten verlieren sich im Saal. Und auch bei einigen Verfahrensbeteiligten scheint die Luft nach einem halben Jahr Verhandlungsstress raus zu sein. „Gibt es etwas Langweiligeres als diesen Prozess?“ So begrüßt etwa der Freiburger Rechtsanwalt Jörg Ritzel (er verteidigt den Hauptangeklagten Majd H.) an diesem Morgen den Dolmetscher im Gerichtssaal.
Zwei Verteidigerinnen vertreiben sich die Zeit bis zum verzögerten Verhandlungsbeginn mit einer für den ernsten Anlass merkwürdigen Tätigkeit: Sie schreiben fleißig Weihnachtskarten. Es wird gewitzelt und gelacht.
Foto: Focus