Lippenlesen gegen Rassismus
Was im Stadion auf den Rängen und auf dem Spielfeld gesprochen wird, stößt auf immer größeres Interesse. So konnten durch Lippenleser in England rassistische Fans überführt werden. Warum dies wichtig ist, erklärt Julia Probst.
Acht Monate sind vergangen, seit der bei Manchester City spielende englische Fußballnationalspieler Raheem Sterling während des Auswärtsspiels beim FC Chelsea rassistisch beleidigt worden ist. Nun hat Chelsea Konsequenzen gezogen: Gegen sechs Fans wurden Stadionverbote ausgesprochen. Das Besondere daran ist, dass die Fans mithilfe von Überwachungskameras und professionellen Lippenlesern überführt wurden.
Dass die Lippen von Fans gelesen werden, sei beispielsweise in Spanien keine neue Situation, erklärt Julia Probst im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur, das die Dolmetscherin für Gebärdensprachen Oya Ataman dolmetschte. Anders sei es in Deutschland, hierzulande sei dies noch nicht gemacht worden. Doch könne sie sich vorstellen, dass dies zukünftig der Fall sei. „Ich denke, es ist heute wichtig, dass man dem Rassismus die rote Karte zeigt.“
Deutsch ist einfach zum Lippenlesen
Julia Probst ist gehörlos und liest selbst sehr erfolgreich von Fußballspieler- und Trainerlippen, worüber sie auf ihrem Twitter- und Instagram-Account berichtet. „Ich habe nur das getwittert, wo ich mir absolut sicher war. Wenn ich eine Unsicherheit gehabt hätte, dann hätte ich das auch nicht geschrieben“, sagt Julia Probst.
Das Deutsche sei indes eine nicht so schwierige Sprache wie andere, denn Laute könnten direkt abgelesen werden: „Das heißt, Laut und Buchstabe stimmen überein.“ Manchmal gebe es zwar Unsicherheiten, doch würden sich diese durch den Kontext klären. Im Fußball sei zudem der Kontext gegeben: „Das ist eine konkrete Situation.“
Doch das Lippenlesen sei nicht so einfach. Der Kontext sei sehr wichtig, andernfalls würde es sich nur um Erraten handeln. „Aber durch ein ganz genaues Hinschauen und die Verknüpfung mit Hintergrundwissen und dem Kontext ergibt dann die Genauigkeit“, sagt Probst.
Kein Ehrenkodex vorhanden
Mit ihrem Twitter-Account kommt Julia Probst den Trainern und Spieler sehr nah. Doch weist sie den Vorwurf zurück, Teil einer lückenlosen Überwachung zu seinm, denn die Fußballer seien in ein kommerzielles Programm zur Unterhaltung der Zuschauer eingebunden. Das sei ihr Beruf, mit dem sie in der Öffentlichkeit stünden. „Mit diesem Bewusstsein sollten sie auch agieren“, unterstreicht Probst. Das sei der Unterschied zu Privatpersonen, deren Unterhaltung sie aus Prinzip nicht verfolgen würde.
So habe es Probst auch abgelehnt, die Lippen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu lesen, als diese in der Öffentlichkeit einen Zitteranfalle hatte. „Dies war für mich vollkommen klar“, sagt Probst. Leider gebe es aber unter den Lippenlesern keinen gemeinsamen „Ehrenkodex“, der solche Aufträge generell verhindern würde.
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