
Kondomtraining für Flüchtlinge ohne Kulturschock in Göttingen
Viele Jugendliche flüchten allein aus ihren Heimatländern – fast alle von ihnen sind männlich. Offener Umgang mit dem Thema Sexualität ist in ihren Heimatländern oft nicht gegeben.
Gelächter im Raum. In einem kleinen Zimmer der Aids-Hilfe in Göttingen erklärt eine Frau jungen geflüchteten Männern, was sie beim Kondomkauf beachten müssen. Die Frau ist Simone Kamin. Sie trägt ihre Haare kurz, Brille, einen Schal zur karierten Bluse. Die Männer kommen aus dem Irak, Ägypten, Libyen oder Syrien. Sie sind allein vor ein bis drei Jahren nach Deutschland gekommen und wohnen jetzt in einer Einrichtung nahe Göttingen.
Sexualität ist etwas, was sie aus Schulbüchern kennen, die es zwar gibt, deren Inhalt aber kaum besprochen wird. Der jüngste Teilnehmer ist 16, der Älteste 20. Seinen Namen möchte keiner nennen, der Workshop findet in vertraulichem Rahmen statt.
Verteilung der Kondome
„Es gibt drei Dinge, auf die man auf der Packung achten muss“, sagt Simone Kamin. Sie hat Kondome an jeden Teilnehmer verteilt. Einer nennt das Datum. „Das war schon mal benutzt“ sagt ein anderer, alle lachen.
Damit die Situation nicht zum Kulturschock wird, sind Leyla Akad und Senoussi Azerradj da. Sie sind Kulturdolmetscher. Sie übersetzen nicht nur das, was die Dozentin sagt, in die jeweilige Sprache, sie versehen es zusätzlich mit den kulturellen Vorzeichen. Leyla Akad übersetzt für zwei Teilnehmer in Kurdisch, Senoussi Azerradj in Arabisch für die anderen drei Teilnehmer.
Auf die Frage, ob die Jugendlichen in ihrer Familie über Sexualität sprechen, schütteln einige den Kopf. Einer sagt, er habe mit seinem Onkel darüber gesprochen. Senoussi Azerradj sagt, es gibt immer einen, der in der Familie lockerer ist. Das ist dann meist ein guter Ansprechpartner. Mit der Mutter oder mit Frauen vermeide man das Gespräch.
Holzattrappen
Als es zur Sache geht, und Simone Kamin fragt, wer den phallischen Holzattrappen ein Kondom überziehen will, finden sich sogar Freiwillige. Ein junger Teilnehmer geht nach vorne, krempelt die Ärmel hoch – und macht dann alles richtig.
„Wenn ihr jetzt noch nicht Vater werden wollt, schützt euch das Kondom“, erklärt Simone Kamin. An der Tafel hinter ihr steht auf einer Schreibtafel HIV positiv = HIV mit einem Häkchen dahinter. Hinter HIV negativ ist HIV durchgestrichen – damit es keine Missverständnisse gibt. Der Workshop geht drei Stunden lang. Es soll auch um sexuelle Identitäten und Homosexualität gehen.
Ernste Fragen
Zwischen Witzen und etwas angespanntem Lachen, werden ernste Fragen geklärt. Die Teilnehmer hören aufmerksam zu, die Dozentin nimmt sich Zeit, jede Information so zu erläutern, dass sie ankommt. Wenn die Dolmetscher dann übersetzen, stecken die Junges die Köpfe zusammen. Nur einmal ist Leyla Akad raus gegangen. Sie sagt, dass es für die Jungs jetzt peinlich wäre, wenn sie als Frau im Raum bleibt.
„Normalerweise arbeiten wir mit Männern als Dozenten“, erklärt Simone Kamin. Das Team wollte aber auch vermitteln, Frauen im Bildungssystem sind hier normal. „Es war auch lustig“, sagt sie hinterher. „Irgendwann geht Peinlichkeit in Humor über.“
Das sagen Kulturdolmetscher zum Kondomtraining
„In unserer Kultur gibt es einen Respekt zwischen Jugendlichen und Erwachsenen“, erklärt Senoussi Azerradj.
Deshalb entschuldigt er sich sozusagen zuerst bei den Jugendlichen und erklärt, dass sich niemand schämen muss, bevor er die sachlichen Details übersetzt. „Normalerweise rede ich nicht mit Jugendlichen über Sex, weil sie sich schämen.“
Leyla Akad sagt, dass sie manche Worte nicht übersetzen konnte. Und: „Es gibt auch Grenzen, bei denen man abwägen muss: Geht man lieber raus?“ Leyla Akad und Senoussi Azerradj arbeiten für die Jugendhilfe Süd-Niedersachsen. Es gib keine spezielle Ausbildung für den Beruf.
Foto: Schaub