Habe die Schlüssel zwischen den Handknöcheln, bereit um zuzuschlagen

Habe die Schlüssel zwischen den Handknöcheln, bereit um zuzuschlagen

Es ist eine erschreckende Umfrage: Mehr als die Hälfte der Frauen glaubt, dass Deutschland für sie unsicherer geworden ist. 58 Prozent gaben in einer Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ an, dass öffentliche Orte heute für sie weniger sicher seien als früher.

“Alleine traue ich mich das nicht mehr!”

Natalie B.: “Gelegentlich kommen Rufe auf der Straße, was ich vorher nicht kannte und sehr unangenehm finde, wenn ich alleine unterwegs bin. Um ein Haar wäre ich an Silvester 2015/2016 nach Köln gefahren. Ich habe mich glücklicherweise dagegen entschieden, habe seitdem aber Menschenmassen in der Dunkelheit gemieden. Sowieso gehe ich nirgendwo im Dunkeln allein hin. Wenn ich mit der Bahn an unserem kleinen Bahnhof ankomme, steht mein Vater immer dort, um mit mir durch die einsame Unterführung zu gehen. Alleine traue ich mich das nicht mehr! Ich habe mir vor ein paar Monaten zwei Dosen Pfefferspray bestellt von Amazon. Zwei, um sicher zu gehen, in beiden Winterjacken immer eine dabei zu haben. Das hilft etwas, weil ich rein körperlich jedem Angreifer unterlegen bin. Wieso das alles? Es beunruhigt mich sehr, dass nicht mal der deutsche Staat weiß, wer sich hier aufhält.”

Anne R.: “Tagsüber, wenn ich unterwegs bin, fühle ich mich absolut sicher. Nachts, wenn ich von Freunden alleine nach Hause laufe habe ich die Schlüssel zwischen den Handknöcheln, bereit um zuzuschlagen. Das Handy am Ohr, in der Hoffnung, dass mein Freund, dem ich zu jeder Minute sage wo ich gerade bin, mitbekommt, wenn mir was passiert und die Polizei alarmiert. Aber das mache ich schon seit eh und je. Das ist nichts Neues für uns Frauen. Das hat nichts mit der Silvesternacht in Köln zu tun. Nichts mit Flüchtlingen. Denn hier in Dortmund werden Übergriffe auf Frauen von Männern jeglicher Hautfarbe, jeglichen Alters und jeglicher Staatsbürgerschaften begangen.”

“Ich leide unter einem Dauerunwohlgefühl und bin wütend”

Uschi J.: Morgens verlasse ich im Halbdunkel das Haus auf dem Weg zur Arbeit, abends komme ich im Dunkeln zurück – es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich schon in der Früh oder um 17:00 Uhr ein mulmiges Gefühl habe auf dem Heimweg an den Stadtrand. Handtaschenraub, sexuelle Übergriffe – dabei handelt es sich ja meist auch um unterschiedliche Tätergruppen – aber in der Summe muss man damit ständig vor irgendwas auf der Hut sein. Ich selbst leide seit den Vorkommnissen in Köln und vielen anderen Städten an einem Dauerunwohlgefühl und ich bin wütend, von Männern plötzlich wieder wie ein rohes Stück Fleisch begafft und behandelt zu werden. Ich war in den 70er Jahren in einer Grenzstadt mit hoher Kriminalität in der Frauenbewegung. Damals haben wir skandiert: „Wir holen uns die Nacht zurück“ und sind damit in der Nacht zunächst in Gruppen durch die Straßen gegangen. In München habe ich mich immer halbwegs sicher gefühlt und war – auch beruflich bedingt – abends immer viel unterwegs und immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß. Das geht jetzt nicht mehr. Heute haben wir nicht mal mehr den Tag!

“Die Sicherheit hat einfach abgenommen!”

Kati L.: “Ich lebe in einer Kleinstadt in Hessen und auch ich fühle mich nicht mehr so sicher wie noch vor einigen Jahren. Bis vor einem halben Jahr bin ich noch ziemlich unbedarft nach Hause gelaufen. Je nach Schicht endet meine Arbeit gegen 21, 23 oder auch mal 2 Uhr nachts. Das Auto habe ich mir bisher gerne gespart und der Heimweg von rund 45 Minuten ist nach einer langen Schicht auch eine schöne und erholsame Abwechslung. Bisher war mir der Heimweg auch nie mulmig. Aber im letzten Jahr sind ein paar unschöne Dinge hier passiert (Schlägereien und auch sexueller Missbrauch gegenüber Frauen). Nicht nur habe ich mein Haus mittlerweile zusätzlich abgesichert, sondern ich laufe auch nicht mehr heim. Meine Schichten mache ich nur noch bis 21 Uhr. Das schränkt mich zwar ein und ich bekomme oftmals keine vollen Schichten mehr (das heißt mir fehlt am Monatsende Geld), aber mir geht Sicherheit dennoch vor! Dennoch muss ich sagen, ich hätte da vor einem Jahr nie drüber nachgedacht! Die Sicherheit hat einfach abgenommen! Daher auch die Absicherung der Häuser oder Wohnungen. Da hätte doch vor ein paar Jahren beim Hausbau noch niemand drüber nachgedacht.”

“Ich trage Pfefferspray und einen Taschenalarm mit mir herum”

Anonym: “Ich fühle mich schon seit meiner Kindheit nicht so richtig sicher in Deutschland. Dazu habe ich hier zu viel Gewalt erlebt. Von Deutschen. Im Elternhaus, aber auch auf offener Straße. Zusammengeschlagen von einem deutschen Halbwüchsigen ohne Migrationshintergrund. Keiner der vielen Passanten hat mir übrigens geholfen. Das dürften alles Deutsche gewesen sein, damals gab es in dem Ort, in dem das passiert war, kaum Ausländer. Trotzdem bin ich nicht so naiv zu glauben, nur Deutsche würden gewalttätig oder sexuell übergriffig. In meiner Stadt wurden seit der Flüchtlingskrise mehrere versuchte Vergewaltigungen durch “Südländer” publik gemacht. Deshalb habe ich mich bewaffnet. Ich trage mit Farbstoff versehendes Pfefferspray sowie einen Taschenalarm mit mir herum. Ob das im Ernstfall ausreichen wird? Ich weiß es nicht. Aber ich fühle mich damit sicherer.”

“Ich trage abends keine kurzen Röcke”

Eduvigis D.: Mein Verhalten im öffentlichen Raum hat sich drastisch verändert: Ich gehe in kein Schwimmbad mehr, mache keine Abendspaziergänge im Wald, meide gewisse Haltestellen komplett, meide den Hauptbahnhof in den Abendstunde, trage abends keine kurzen Röcke. Ich habe zwei Kinder, eines eine Tochter und um die habe ich richtig Angst. Einen Selbstverteidigungskurs soll sie machen und Pfefferspray mitnehmen, wenn sie älter wird und dann auch mal abends unterwegs ist.

Quelle: Focus

Foto: dpa/Bodo Marks

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