Rot-Rot-Grünes Experiment Deutsche, schaut auf diese Stadt
Am Dienstag vergangener Woche konnte die Berliner Polizei einen Fahndungserfolg melden, der auch überregional große Aufmerksamkeit erregte. Am Morgen hatten sich sechs junge Männer gestellt, die verdächtigt werden, in der Weihnachtsnacht auf einem U-Bahnhof den Schlafsack eines Obdachlosen angezündet zu haben.
Es gibt eine Videosequenz aus einer Überwachungskamera, auf der die Gesuchten deutlich zu erkennen sind. Ein Richter hatte verfügt, das Material zu veröffentlichen, worauf unter anderem der Bruder eines Tatbeteiligten zur Meldung bei der Polizei riet. Gegen insgesamt sieben Männer wurde ein Haftbefehl wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes erlassen.
Es war das zweite Mal in kurzer Zeit, dass Videoaufnahmen in Berlin bei einer Fahndung den Durchbruch brachten. Anfang Dezember hatte ein kurzer Film für Aufsehen gesorgt, auf dem man sah, wie ein Mann eine junge Frau die Treppe einer U-Bahnstation heruntertrat. Auch hier hatte die öffentliche Fahndung dabei geholfen, des Täters schnell habhaft zu werden.
Terror in Berlin. Und Rot-Rot-Grün macht einfach weiter so
Man sollte meinen, dass man in Berlin stolz ist auf den Erfolg bei der Bekämpfung der Gewaltkriminalität. Über die letzten Jahre sind die Gewaltdelikte im öffentlichen Nahverkehr zurückgegangen, auch das wird auf die verbesserte Überwachung zurückgeführt. Es läge also nahe, mehr Videokameras auf öffentlichen Plätzen zu installieren. Aber der Berliner Senat hat eine ganz eigene Sicht der Dinge.
Man kann in Berlin in diesen Tagen ein interessantes politisches Experiment beobachten. Spätestens nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz hat sich die Lage für viele Bürger geändert, aber die Politik macht einfach so weiter, als ob alles beim Alten geblieben wäre.
Als kognitive Dissonanz bezeichnet die Psychologie einen Gemütszustand, der sich einstellt, wenn sich Wünsche oder Absichten an der Wirklichkeit stoßen. Wer nach Abschluss eines Kaufvertrags feststellt, dass er sich beim Kauf geirrt hat, wird alles tun, die Kaufentscheidung vor sich zu rechtfertigen. Dass die rot-rot-grüne Regierung an einer Dissonanzstörung leidet, ist das Mindeste, was man über sie sagen kann.
Solange Berlin keine größeren Sorgen hat
Solange ein Land keine größeren Sorgen hat als die Frage, was mit freilaufenden Katzen passiert, mag ein solches Programm als fröhliches Neunzigerjahre-Revival durchgehen. Eine Stadt, in der fast die Hälfte der Bewohner auf die eine oder andere Weise Transferleistungen bezieht, erträgt es auch klaglos, wenn der Verkehr noch lahmer gelegt wird oder die Regierung die Zahl der Staatssekretäre auf die Rekordzahl von 25 hochtreibt. Am Ende kommen für alles ohnehin die Bayern auf.
Bei der Sicherheit hört der Spaß allerdings auf. Dann besinnen sich viele darauf, dass die wichtigste Aufgabe von Politik noch immer die Garantie der öffentlichen Ordnung ist.
Blick auf die Stadt – aus dem gepanzerten Dienstwagen
Natürlich gilt auch in der Flüchtlingspolitik der Berliner Weg. Abschiebungen seien nur die “Ultima Ratio”, erklärte die Vorsitzende der Grünen nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Mögen sie anderswo darüber streiten, warum der Attentäter Anis Amri nicht rechtzeitig in Haft genommen wurde, in Berlin hätte ihm als abgelehnter Asylbewerber aus Prinzip keinerlei Freiheitsbeschränkung gedroht: “Die Koalition hält Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam grundsätzlich für unangemessene Maßnahmen und wird sich deshalb auf Bundesebene für deren Abschaffung einsetzen”, heißt es in der Selbstverpflichtung des rot-rot-grünen Senats.
Der regierende Bürgermeister Michael Müller hat die Berliner nach dem Anschlag aufgerufen, keine Angst zu zeigen. Es sei fatal, wenn man sich zu Hause einschließe. Ich bin sehr dafür, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Ich werde allerdings misstrauisch, wenn die Empfehlung zum alltäglichen Heroismus von Leuten kommt, die sich draußen kaum bewegen, ohne dass hochgerüstete Personenschützer ihren Weg sichern. Wie man lesen konnte, hat Müller vor Weihnachten einen neuen Mercedes erhalten, der über verstärkte Bodenplatten und schusssichere Fenster verfügt. Auch das fällt wohl unter kognitive Dissonanz.
Wer eine Ahnung davon bekommen will, wie Deutschland unter einer rot-rot-grünen Regierung aussehen würde, muss in den kommenden Wochen nur nach Berlin gucken.
Quelle: Spiegel
Foto: dpa