Ein Flirtkurs für Flüchtlinge – von Security bewacht

Ein Flirtkurs für Flüchtlinge – von Security bewacht

Ein professioneller Flirtcoach bringt jungen Flüchtlingen kostenlos bei, wie sie deutsche Gleichaltrige ansprechen.

  • Seit den Silvesterübergriffen in Köln haben junge Flüchtlinge das Gefühl, unter Generalverdacht gestellt zu werden.
  • Die Tipps fürs Flirten unterscheiden sich am Ende gar nicht so sehr von denen, die auch für junge Deutsche gelten.

Auf den ersten Blick ist Horst Wenzel ein ziemlich unscheinbarer Typ: schlaksig, blonde Locken, enge Röhrenjeans. Doch der 27-Jährige mit dem unerbittlichen Dauerlächeln ist nicht irgendwer – er ist Deutschlands bekanntester TV-Flirtcoach. Behauptet jedenfalls Google. Und auch er selbst. Zumindest, so sagt er, habe er mit seinem Fachwissen in Sachen Flirten schon die eine oder andere Ehe zustande gebracht.

Wie Wenzel das hinbekommen hat? Das erklärt der Flirtcoach nun auch jungen Flüchtlingen. Denn Liebe und Beziehung, so findet er, seien ja auch ein wichtiger Teil der Integration. Und die jungen Geflüchteten, die er vor sich hat, seien „alle charmante, junge Herren, die das Rüstzeug haben, um eine deutsche Frau von sich zu begeistern“.

Erste Station des Frauenverstehers: ein Beratungszentrum der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Essen.

Flirten lernen mit Security

Drei Securitymänner bewachen an diesem Nachmittag den Eingang, auch die Polizei schaut nach dem Rechten. Grund sind die Anfeindungen und Drohungen vorab. Ein Zeitungsbericht hatte die Aufmerksamkeit flüchtlingsfeindlicher Gruppen auf die Flirtschulung gelenkt. Ihre Interpretation des Kurses ist freilich eine ganz andere: Flüchtlingen werde von Steuergeldern gezeigt, wie sie deutsche Frauen vergewaltigen.

Für die Pädagogen und Berater, die hier arbeiten, sind die vielen Sicherheitskräfte ein ungewohntes Bild. „Wir beraten hier zu Themen wie ungewollte Schwangerschaften. Da ist man auf Kummer gefasst. Dass jetzt ausgerechnet so etwas Simples wie Flirten für solchen Wirbel sorgt, ist schon verrückt“, sagt Awo-Mitarbeiterin Nicola Völckel.

Sexualpädagogin Meral Renz sagt, die jungen Männer seien meist schüchtern und verunsichert. „Das sind junge Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen – da ist kaum Raum, sich gegenseitig kennenzulernen.“

Flirt-Wissen etwas abseits der Zielgruppe

Um die Jugendlichen mit ihren Fragen nicht alleine zu lassen, hat die Awo Niederrhein ein deutschlandweit einzigartiges Projekt ins Leben gerufen: „Liebes-Welten“. Hier setzen sich Flüchtlinge mit Themen wie Homosexualität, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft auseinander.

Flirtcoach Wenzel teilt sein Wissen heute unentgeltlich mit den Männern aus dem Irak, Libanon und Syrien. „Jetzt erst recht“, habe er sich nach den Anfeindungen gedacht.

Ob er auch über seine Zielgruppe an diesem Tag nachgedacht hat? In seinem Vortrag geht es erst einmal ziemlich abstrakt zu. Von „Bedürfnispyramide“ und „Kommunikationsebenen“ ist die Rede. Horst Wenzel weiß, dass er seine Zuhörer überfordert. Weiter geht es darum mit praktischen Beispielen. Als Kind, erzählt er, sei er wegen seines Vornamens gehänselt worden, habe sogar die Schule gewechselt. Doch auch die neuen Mitschüler fanden den Namen Horst offenbar ziemlich schlimm und die Hänseleien gingen weiter.

Der Flirt-Coach empfiehlt Dating-Apps

Bis zu dem Tag, an dem seine Mutter sich entschied, dem pubertierenden Jungen eine Kiste Radler in den Keller zu stellen – samt Freifahrtschein, ein paar Freunde einzuladen. Von da an habe es regelmäßig Partys im Hause Wenzel gegeben und Horst war plötzlich der coole Party-Horst, mit dem die Mädchen zusammen sein wollten.

Die jungen Flüchtlinge hören gespannt zu – und fragen sich wahrscheinlich, was sie daraus lernen sollen. Eine Party im Flüchtlingswohnheim? Horst Wenzel empfiehlt etwas Moderneres. Dating-Apps wie Tinder, Lovoo, Now, Once oder Whisper. Jeder Flüchtling sollte mindestens eine davon auf dem Smartphone installieren. Für die Optik: wenige, aber gute Fotos. Es lohne sich, dafür auch mal über ein professionelles Shooting nachzudenken.

Als einer sich zu Wort meldet, und meint, er habe seit den Silvesterübergriffen in Köln das Gefühl, unter Generalverdacht gestellt zu werden und sich sehr zurückhalten zu müssen, hat Horst Wenzel eine simple Antwort parat: „Nein, das musst du nicht.“ Ehrliche Leute halte auch niemand für Verbrecher, nur weil es auf der Welt Verbrecher gibt.

In der Heimat sind die meisten freundlicher

Als der Flirtcoach die jungen Flüchtlinge schließlich in die Pause entlässt, scheinen viele von ihnen noch immer ratlos. Auch Ismael. Der 17-jährige Iraner, seit einem Jahr in Deutschland, wohnt in einem Heim und geht in Essen aufs Gymnasium.

Von Wenzels Flirtkurs hatte er sich erhofft, etwas mehr über die Mentalität der Deutschen zu erfahren. „Nicht mal wegen des Flirtens – ich wollte einfach wissen, wie Menschen hier sind und wie sie sich kennenlernen“, sagt Ismael. In seiner Heimat sei schließlich vieles anders, die meisten seien dort freundlicher. Einige Deutsche hingegen wirkten auf ihn sehr kalt. Was ihm der Kurs bisher gebracht hat, vermag Ismael nicht so richtig zu sagen. Aber Mädchen kennenzulernen, sei für ihn ohnehin erst mal zweitrangig – dafür sei er viel zu schüchtern.

Der 15-jährige Ali ist alles andere als schüchtern. Der junge Libanese macht gerne Witze und geht offen auf andere zu. „Für uns war es im Libanon nicht mehr sicher – also haben meine Eltern entschieden zu flüchten“, berichtet der Teenager in fließendem Englisch.

Vorurteile und fehlende Sprachkenntnisse

Ein halbes Jahr ist es her, dass Ali mit seiner Familie in Essen ankam. Hier wolle er nun vor allem erst einmal Deutsch lernen und dann am liebsten eine Friseurausbildung machen. Deutsche Mädchen? Die seien auf jeden Fall aufgeschlossener als die im Libanon, findet Ali. Auch er wolle natürlich eine Freundin finden und mal eine Familie gründen. Irgendwann.

Sein Kumpel Farangh ist schon ein Stückchen weiter. Den unverkennbaren Beweis trägt er in Form eines Knutschflecks am Hals. Schuld daran ist die Freundin des 17-jährigen Irakers – eine Deutsche mit russischem Migrationshintergrund. Als Farangh das Mädchen zum zweiten Mal auf einem Essener Sportplatz sah, fasste er sich ein Herz und fragte sie nach ihrer Nummer. Die beiden schrieben Nachrichten, trafen sich, kamen irgendwann zusammen.

Wären Liebesdinge immer und für jeden so einfach wie im Fall von Farangh, könnten Horst Wenzel und seine Bedürfnispyramide wohl einpacken. Meistens jedoch haben die jungen Männer tatsächlich Probleme, ein Mädchen kennenzulernen. Vorurteile sind die eine Sache, fehlende Sprachkenntnisse die andere.

Zieht sie den Fuß nicht weg, ist das ein gutes Zeichen

Nach der Pause wollen die Männer ans Eingemachte: Wie soll das denn nun funktionieren – eine Freundin finden, ohne sich wirklich mit ihr unterhalten zu können? „Das Schöne ist ja, dass die meisten Beziehungen mit einem Kuss beginnen“, meint der Flirtcoach und geht direkt dazu über, die Gruppe über die Körpersprache der Frauen aufzuklären.

Sie schaut ihm in die Augen, lächelt, berührt ihn im Gespräch, zupft ganz nebenbei an Haaren und Kleidung? Das seien schon mal positive Zeichen. Dann könnte ein kleiner Berührungstest hilfreich sein. Der Coach schlägt Fußkontakt vor, das sei in Deutschland ziemlich üblich. Zieht sie ihren Fuß nicht weg, schnellt das Flirtbarometer nach oben.

Jetzt brennt einigen Jungs eine andere Frage unter den Nägeln: Woran liegt es eigentlich, dass manche Beziehungen so schnell zu Ende sind? „Vielleicht, weil die Jungs zu viel Körperkontakt wollen“, vermutet der eine. „Die haben einfach jemand Besseren gefunden“, glaubt der andere.

Einfache Tipps fürs Flirten gelten auch für Flüchtlinge

Coach Wenzel schaltet sich ein: Am Körperkontakt könne es nicht liegen. Wer in Deutschland eine Beziehung habe, der habe auch Sex. „Der Sex kommt sogar vor der Beziehung.“ Dass Frauen sich hingegen nach einem besseren Modell Mann umgeschaut haben, hält er für plausibel. Schon in der Steinzeit habe sich das Weibchen nach einem starken Versorger umgeschaut.

Hilfreiche Tipps? Die hat Horst Wenzel, wenn es eigentlich gar nicht ums Flirten geht. Als er den Jungs zum Beispiel rät, sich einen Sportverein zu suchen – um Leute kennenzulernen. Oder erst mal eine beste deutsche Freundin zu finden. Ohne Hintergedanken.

Dass das mit dem Flirten so schwierig ist, das liege letztlich ohnehin an den Deutschen und deren Vorurteilen, sagt der Coach.

Quelle: https://beta.welt.de/vermischtes/article158056372/Ein-Flirtkurs-fuer-Fluechtlinge-von-Security-bewacht.html

Foto: Christin Otto

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