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Tag: Sexualstrafrecht

Warum das neue Sexualstrafrecht wertlos ist

Warum das neue Sexualstrafrecht wertlos ist

“Nein heißt nein” und andere Regeln sind vor allem Populismus. In der Praxis bringen sie nichts. Steht Recht nur auf dem Papier, damit das Volk sich besser fühlt, schadet das dem Rechtsstaat.

Der Bundestag hat die Verschärfung des Sexualstrafrechts beschlossen. Seit Monaten wird der Öffentlichkeit erklärt, dass diese Reform eine Lücke im Gesetz schließt. Das Schlagwort lautete: “Nein heißt Nein.” Die Initiatoren behaupteten, dass Frauen künftig besser vor sexuellen Übergriffen durch triebtätige Männer geschützt werden.

Die wenigen, die sich in der aufgeheizten Stimmung wagten, darauf hinzuweisen, dass es eines weiteren Schutzes nicht bedürfe, weil der bestehende Schutz ausreiche, standen da wie Verteidiger der ewig männlichen Gewalt.

Wahr ist dennoch, dass es eine Gesetzeslücke nicht gab. Sexuelle Handlungen gegen den Willen eines Beteiligten standen schon vorher unter Strafe. Das Problem war und wird immer bleiben, dass es für sexuelle Handlungen in aller Regel keine Zeugen gibt, dass Glaubhaftmachungen als Beweise genügen müssen.

Wie wird die Handlung gedeutet?

Das Problem ist ferner, dass bei der Vergewaltigung nicht die Handlung selbst eine Straftat ist, wie bei allen anderen Straftaten, sondern dass ein und dieselbe Handlung – Geschlechtsverkehr – durch die Umstände erst kriminalisiert wird. Die Deutung ist das Problem. Sie lag schon vor der Reform bei den Strafverfolgungsbehörden.

Nun, da das Vergewaltigungsopfer sich nicht mehr gegen Gewalt wehren, die Ablehnung nicht mehr verbalisieren muss, sondern es ausreicht, dass es durch Mimik zeigt, dass es nicht einverstanden ist – nun ist die Deutung sehr viel schwieriger geworden. Es wird vor allem für Männer schwerer werden, sich gegen einen zu Unrecht vorgetragenen Vergewaltigungsvorwurf zu wehren. Und leicht war es schon vorher nicht.

Allgemeiner Anerkennung erfreut sich auch die Einführung des Straftatbestands der “sexuellen Belästigung”. Die Notwendigkeit war angeblich durch die Übergriffe der Kölner Silvesternacht entstanden, in der Männer Frauen umringt und unsittlich berührt hatten. Das Wort “Grapschen” fand Einzug in den politischen Diskurs.

Es stimmt aber nicht, dass die Taten bisher nicht strafbar waren. Sie hatten nur keinen eigenen Paragrafen. Ob die Übergriffe als “Beleidigungen” oder als “sexuelle Belästigung” bestraft werden, ist den Opfern egal, solange sie tatsächlich verfolgt werden.

Nun könnte man sagen: Die Parteien machen halt ein bisschen Populismus, überflüssige Gesetze richten keinen Schaden an. Aber das ist falsch. Denn Recht ist das Gewebe der Gesellschaft. Es ist dazu da, unbedingt durchgesetzt zu werden. Steht Recht nur auf dem Papier, damit das Volk sich besser fühlt, hat der Rechtsstaat kapituliert.

Quelle: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article156890161/Warum-das-neue-Sexualstrafrecht-wertlos-ist.html

Zum letzten Mal: Nein heißt Nein

Zum letzten Mal: Nein heißt Nein

Die Würfel sind gefallen: Das Sexualstrafrecht in Deutschland wird reformiert. Und doch – es bleiben immer noch Strafbarkeitslücken. Wir sollten sie schließen!

Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne “Fischer im Recht” finden Sie hier – und auf seiner Website.

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Auf vielfachen Wunsch – aber wirklich nur deshalb! – erlauben wir uns, zum Thema aller Themen, zur Entscheidungsschlacht von Gut und Böse, zur Mutter aller Strafrechtsreformen, also zur noch vor der Sommerpause umzusetzenden Reform des SEXUAL-Strafrechts ein letztes Mal Ausführungen zu machen. Am 24. Juni, so lasen wir, haben sich ein paar Parlamentarierinnen von CDU und SPD geeinigt: Die Sache läuft! Was draußen geschwätzt wird, ist den Macherinnen egal. Mit dem Rest sollen sich dann die Gerichte herumschlagen, dazu sind sie ja wohl da.

Ist Ihnen übrigens aufgefallen, dass sich die Araber und die Marokkaner und die Algerier in letzter Zeit auffällig zurückhalten? Das ist natürlich ein Trick, um die Menschen über die Dringlichkeit des Anliegens zu täuschen. Daran kann man sehen, wie gefährlich diese Banden sind.

Spaß beiseite: Vielen hierzulande ist es durchaus ernst; viele haben Sorge, viele durchschauen nicht, um was es eigentlich geht. Viele Hundert Kommentare zu dieser Kolumne – wenn sie sich mit dem Thema befasst – zeigen vor allem eines: Alles geht durcheinander.
Das ist kein Vorwurf: Lesen Sie den Artikel von Andreas Zielcke in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Juni 2016 (SZ, Seite 9)! Ein lobenswerter Versuch, die Grundlinien der Diskussion und des Reformprojekts darzustellen und einmal wieder zu sagen, um was es geht. Aber wenn Sie den Text gelesen haben, werden Sie (vielleicht) mit dem Kolumnisten feststellen: Man ist hinterher ungefähr genauso schlau wie zuvor. Nichts Genaues weiß man nicht, da es auch Herr Zielke nicht weiß. Bloß dieses: Alles ist irgendwie sehr schwierig.

Das ist wahr, das ist schade, das muss aber nicht sein. Die Sache ist zwar wirklich kompliziert, aber sie ist nicht von vornherein unverständlich (das ist ähnlich wie bei der Erbschaftsteuer). Um sie zu verstehen, muss man allerdings bereit sein, sich auf ein paar Differenzierungen (Unterscheidungen) und Grundsätze einzulassen und eine Stunde seine eigenen Vorurteile und Sachverhaltsvorstellungen beiseite zu lassen, denn

1)    Behauptungen über die Wirklichkeit sind nicht die Wirklichkeit selbst.
2)    Die Materielle Rechtslage ist nicht identisch mit den prozessualen Regeln ihrer Erkenntnis.
3)    Das bloße “Machen” eines Gesetzes löst weder Beweisfragen noch Dunkelzifferfragen noch Gerechtigkeitsfragen.
4)    Bloße Schlagworte sind nicht geeignet, komplizierte Strukturen zu klären oder zu entscheiden.

Auf dieser Grundlage versuche ich noch einmal, ein paar Rechtsfragen zu erklären:

1) “Nein heißt Nein”

Ein schön klingendes Schlagwort, das aber in der Praxis kaum etwas erklärt oder erleichtert. Mit “Köln” zum Beispiel hat es nicht das Geringste zu tun. “Köln” wiederum hat mit der “Strafbarkeit von Grabschen” nichts zu tun: Dort wurde ja gerade eben nicht (“nur”) gegrabscht, sondern offenkundig genötigt: Da bestand also keine (Grabscher-)Lücke.

Für das “Grabschen” – gemeint ist: Ausführen so genannter “sexueller Handlungen” unter Missbrauch einer Überraschungssituation – hat das “Nein-heißt Nein”-Dogma praktisch keine Bedeutung: Niemand nimmt ja bisher an, Personen, die in der U-Bahn fahren, eine Treppe hochgehen oder am Kopierer stehen, seien im Prinzip damit einverstanden, sexuell motiviert berührt zu werden. Und selbstverständlich erwartet daher auch niemand, dass alle U-Bahn-Fahrgäste ab sofort einmal in der Minute laut “NEIN” rufen, um die allenthalben lauernden Grabscher über die eigene aktuelle Willenslage in Kenntnis zu setzen.

2) Grabschen

Paragraf 184 i Strafgesetzbuch soll demnächst lauten:
“Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.”

Grabschen bei Unbekannten

Unbestritten ist: Bloßes “Grabschen” = Sexuelle Handlungen ohne jede (noch so geringe) Gewalt, ohne Festhalten, ohne Den-Weg-Versperren, ohne Drohung, ohne Furcht der betroffenen Person, also ausschließlich durch Ausnutzen einer Gelegenheit und eines Überraschungsmoments, ist bisher meist nicht strafbar. Es soll (wird) jetzt aber strafbar gemacht werden.

Das ist rechtspolitisch umstritten. Viele sagen: Da bestehe eine “Schutzlücke” und meinen damit, die Strafbarkeit solcher Handlungen sei dringend erforderlich, und sei es auch nur “symbolisch”. Die Straflosigkeit zeige nämlich, dass das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung gering geschätzt werde. Da in den meisten Fällen Frauen die von Grabschereien Betroffenen seien, demonstriere die Straflosigkeit insbesondere eine Missachtung weiblicher Selbstbestimmung.

Andere sagen: Es bestehe keine Schutzlücke, denn es handle sich um einen Bereich des Bagatell-Unrechts, in dem das Strafrecht mit seinen groben Werkzeugen nichts zu suchen habe und auch keine pädagogische Funktion ausübe. Sobald solche Handlungen eine (ziemlich) niedrige Schwelle überschreiten, sind sie schon heute strafbar: manchmal als Beleidigung, manchmal als Erregung öffentlichen Ärgernisses, häufig als Nötigung, weil die Person gleichzeitig festgehalten oder ein unwillkürlicher Widerstand überwunden wird. So dürfte etwa in den allermeisten Fällen ein Hineingreifen in die Kleidung und eine Berührung von Geschlechtsteilen unter der Kleidung nicht derart “überraschend” erfolgen können, dass die betroffene Person nicht spontan/unwillkürlich auszuweichen versucht oder sich sonst sträubt. Die Überwindung solchen Widerstands aber ist schon wieder Gewalt.

Hieraus kann man nicht ableiten, das Opfer “müsse” sich wehren. Umgekehrt wird eine betroffene Person kaum, bloß weil demnächst auch das “bloße” Anfassen strafbar ist, eine derartige Handlung wort-, reaktions- und widerstandlos über sich ergehen lassen (nach dem zivilrechtlichen Motto: “Dulde und liquidiere”). Die berüchtigten “Schockstarren” (die ja in der Regel Angststarren sind) pflegen selten in der Straßenbahn oder auf Rolltreppen aufzutreten.

Sehr problematisch ist die praktische Umsetzung. Wie viele Strafanzeigen wegen “Grabschens” durch Unbekannte (in der Öffentlichkeit) wird es geben? Und wie sollen diese Taten verfolgt werden? Es ist kaum zu erwarten, dass der “Grabscher”, der einer Frau in der Straßenbahn an den Hintern gefasst hat, dies alsbald zugeben und seine Personalien offenbaren wird. Es ist ebenso wenig wahrscheinlich, dass sich auf den Ruf der begrabschten Frau umstehende Fahrgäste auf den Verdächtigen stürzen und ihn bis zum Eintreffen der Polizei festhalten.

Von den (angeblich) unermesslich vielen Taten wird also allenfalls ein äußerst geringer Teil überhaupt zur Anzeige kommen; hiervon wird wiederum der weitaus größte Teil entweder mit Einstellung wegen Unerweislichkeit (Paragraf 170 Abs. 2 StPO) enden oder zu Verfahrenseinstellung gegen kleine Geldauflagen, maximal zu Geldstrafen im untersten Bereich führen. Ein volkspädagogischer Effekt dürfte kaum eintreten: Jeder weiß auch heute schon, dass das Verhalten als sozial verächtlich angesehen wird und “verboten” ist.

Grabschen bei Bekannten

Strafbarkeit des Grabschens im sozialen Nahraum stößt natürlich nicht auf das Problem der Täteridentifizierung. Die echte Notwendigkeit, einen einzelnen Griff etwa an Geschlechtsteile über der Kleidung zwischen bekannten Personen oder Unverschämtheiten wie “Tätscheln” im Büro, “Die-Hand-aufs-Knie-Legen”, den Arm um die Schulter legen beim Betriebsfest … und so weiter, besteht aber nach meiner Ansicht nicht und lässt sich auch strafrechtlich schwer verwirklichen, ohne Grenzen eines rechtsstaatlichen Strafrechts zu gefährden.

In der Lebenswirklichkeit wird kaum je eine erste Handlung solcher Art zu strafrechtlichen Anzeigen führen. Bei Wiederholungen gibt es heute wirksame arbeitsrechtliche und sonstige zivilrechtlichen Mittel der Abwehr, Offenlegung und Vorsorge, die weitaus wirksamer und abschreckender sind als die (stillschweigende) Zustellung eines Strafbefehls mit 15 Tagessätzen Geldstrafe. Unter dem – angeblich ja immer noch geltenden – “Ultima-Ratio-Grundsatz” (Strafrecht soll erst dann eingesetzt werden, wenn andere rechtliche Mittel versagen) scheint mir die Grabsch-Verfolgung im sozialen Umfeld überzogen.

Die Beweisbarkeit der angeblichen Handlung ist extrem problematisch, wenn – was naheliegt – keine Augenzeugen vorhanden sind. Der eine sagt ja, der andere nein – wem soll man glauben? Soll gegen jedes unverschämte Tätscheln mit den Keulen einer öffentlichen Verhandlung und einer Begutachtung durch Glaubwürdigkeitssachverständige in die Schlacht gezogen werden? Woher sollen all die qualifizierten Gutachter kommen? Wer soll sie bezahlen? Ist die Gesellschaft willens, pro Jahr 5.000 Glaubwürdigkeitsgutachten à 3.000 Euro zu berappen für aufgrund ihrer Unerweislichkeit eingestellte Verfahren wegen etwa solcher Vorwürfe: “… legte der Angeklagte in einem unbeobachteten Moment überraschend ungefähr zwei Sekunden lang seine linke Hand auf die rechte Brust der Geschädigten ….”

Und wie hoch wird wohl die Quote von Fehlentscheidungen sein – mal so herum, mal so herum?

Sehr interessant ist übrigens auch die Anwendung im Jugendstrafrecht. Der “Grabsch”-Tatbestand wird ja, wie alle Straftatbestände, auf alle Personen ab dem 14. Lebensjahr anzuwenden sein. Da kann man nur sagen: Viel Vergnügen, liebe Jugendrichter!

Grabschen in Beziehungen

Besonders schwierig ist die Lage innerhalb von sexuellen Beziehungen. Kein Mensch wird seinen Partner bei der Polizei anzeigen, weil der ihn/sie gelegentlich “überraschend” (also ohne Willen oder auch gegen den Willen) berührt. Die Problematik setzt also Störungen in der Beziehung voraus. Wir reden daher über problematische, unklare, ambivalente Beziehungen, über Alkohol- und Drogenkonsum eines oder beider Partner, über “Versöhnungen” und Pseudo-Versöhnungen, Streitereien und Aggressionen. Wir reden nicht über Vertragsverhandlungen zwischen zwei Rechtsanwältinnen, sondern über eine unendliche Vielfalt von Möglichkeiten zur Unklarheit, zum Ärger und zum Missvergnügen, überlagert von emotionaler Betroffenheit, Erregung, Affekt.

Wann wohl werden Strafanzeigen wegen “Grabschens” in Beziehungen erstattet? Richtig: ausschließlich nach dem Ende der Beziehung. Dann ist die Gefahr von Falschanzeigen, Rachebeschuldigungen groß, aber auch die von Gegenanzeigen. Schlammschlachten um die Frage, wer wen vor einem Jahr mal nachts wo angefasst hat – wie viel staatsanwaltschaftliche Kraft und Zeit möchten wir dafür aufwenden?

Extraordinäre Beispielsfälle (“Überraschende Durchführung von Analverkehr” und ähnliches) werden immer einmal wieder behauptet, entpuppen sich in den meisten Fällen aber als schlicht unzureichende Feststellungen oder als unplausibel. Materiell-rechtliche “Lücken” bestehen hier nicht wirklich; kaum jemand außerhalb der schäumenden Foren behauptet das noch.

Beispielhaft der “Fotografen-Fall”: Fotograf tritt an stehendes jugendliches Modell heran und führt im Stehen “überraschend” den GV durch. Große Empörung, dass das nicht als “Vergewaltigung” bestraft wurde. Wäre es aber auch nach der neuen Regelung nicht! Es wäre vielmehr ein “Überraschungsdelikt” (“Grabschen”). Ob der Fall früher richtig entschieden wurde, mag dahinstehen: Vieles spricht eher für einen Fall des Paragrafen 177 Abs. Nr. 3 (schutzlose Lage); der Vorsatz des Täters mag fraglich sein. Und ob der entgegenstehende Wille der Betroffenen evident war: Fragezeichen.

Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-06/rechtspolitik-sexualstrafrecht-nein-heisst-nein-fischer-im-recht

Koalition will “Nein heißt Nein” im Gesetz verankern

Koalition will “Nein heißt Nein” im Gesetz verankern

Union und SPD wollen das Sexualstrafrecht grundlegend reformieren. Die sexuelle Selbstbestimmung der Frau rückt ins Zentrum.

Unbenannt1Deutschland soll ein neues Sexualstrafrecht bekommen: Union und SPD haben sich nach monatelangen Debatten auf eine umfassende Strafrechtsreform verständigt. Sie folgt dem Prinzip “Ein Nein ist ein Nein”: Wer gegen den erkennbaren Willen eines anderen handelt, macht sich in Zukunft strafbar. Es wäre ein Paradigmenwechsel: Nicht die Methode des Täters, sondern der Wille des Opfers wird zum zentralen Maßstab vor Gericht.

In einem gemeinsamen Papier, das unserer Redaktion vorliegt, schlagen die Rechtspolitiker der beiden Regierungsfraktionen die Einführung eines neuen Straftatbestands “Sexueller Übergriff” vor. “Der Grundsatz ‘Ein Nein ist ein Nein’ wird in einer neuen Strafvorschrift verwirklicht werden. Damit wird erstmals die sexuelle Selbstbestimmung der Frau auch im Strafrecht voll zur Geltung gebracht”, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Union, Elisabeth Winkelmeier-Becker, unserer Redaktion. “Das ist ein Meilenstein für die Wahrung der Rechte der Frauen.” Der alte Vergewaltigungsparagraf, der unter anderem eine Gewaltanwendung oder Nötigung des Opfers voraussetzt, werde aufgehoben.

Weiterhin gilt: Straftaten müssen bewiesen werden

Künftig soll es ausreichen, wenn das Opfer sein Nein deutlich zeigt: Der entgegenstehende Wille sei erkennbar, wenn das Opfer ihn mit Worten oder zum Beispiel durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung nach außen zum Ausdruck bringe, heißt es im Eckpunktepapier. “Ein lediglich innerer Vorbehalt des Opfers gegen die sexuelle Handlung ist nicht ausreichend.” Aber: Fälle, in denen das Opfer seinen Willen nicht erklären konnte, weil es schlief oder etwa durch K.-o.-Tropfen betäubt worden war, oder weil es aus Angst zugestimmt hatte, sollen ebenfalls vom neu zu schaffenden Strafrechtsparagrafen § 177 erfasst werden. Bislang dagegen konnten Fälle straflos bleiben, bei denen das Opfer nur mit Worten widersprochen hatte oder eine Gegenwehr für aussichtslos hielt.

Nach wie vor aber gilt: Straftaten müssen bewiesen werden. Die “Nein ist Nein”-Regelung wird daher möglicherweise viele Täter abschrecken, die Rechtsprechung aber wird sie nicht unbedingt erleichtern.

86 Prozent der Deutschen sind für die Verschärfung

Eine große Mehrheit der Deutschen ist für die Verschärfung des Sexualstrafrechts. Im Deutschlandtrend für das ARD-“Morgenmagazin” befürworten 86 Prozent der Befragten es, wenn das Gesetz dahingehend verschärft wird, dass ein eindeutiges “Nein” des Opfers bei einer Vergewaltigung ausreicht, um den Täter zu bestrafen. Zehn Prozent der Befragten halten dagegen die bisherige Gesetzeslage für ausreichend.

Geeinigt haben sich die beiden Regierungsfraktionen nach Angaben der Union auch mit Blick auf sexuelle Belästigungen, etwa durch Grabscher: Ein Griff an den Po, ein Grabscher an die Brust im Gedrängel in der U-Bahn, im Schwimmbad oder im Aufzug, ein erzwungener Kuss beim Schützenfest – in Deutschland gilt das bislang nicht als eigenständige Straftat.

Jetzt soll es einen neuen, gesonderten Straftatbestand “Sexuelle Belästigung” geben, heißt es im Eckpunktepapier. Der neue Paragraf soll die Lücke im Strafrecht schließen: “Bisher gibt es keinen strafrechtlichen Schutz vor sexualbezogenen Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit unterhalb der Schwelle der Erheblichkeit”, heißt es in dem Papier. Grabschen werde in diesem Sinne bislang nicht als erheblich angesehen.

Neues Gesetz soll noch im Juli beschlossen werden

Darüber hinaus konnten sich Union und SPD auf einen neuen Tatbestand verständigen, der sexuelle Straftaten wie in der Kölner Silvesternacht speziell ahndet. “Übergriffe aus Gruppen heraus bringen die Opfer in eine besondere Schutzlosigkeit”, heißt es im Papier der Rechtspolitiker. “Jeder, der sich an einer Gruppe beteiligt, aus der heraus sexuelle Übergriffe oder Ähnliches vorgenommen werden, sollte sich künftig als Täter verantworten müssen.” Gemeint sind damit auch diejenigen, die selbst nicht tätig werden – oder denen keine Tat nachgewiesen werden kann. Voraussetzung ist, dass sich mindestens drei Personen zum gemeinsamen Handeln zusammengeschlossen haben. “Die Gruppen können sich von vornherein zur Begehung von Straftaten verabredet haben. Sie können sich aber auch erst spontan zusammenfinden.”

Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte Ende April einen Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts in den Bundestag eingebracht. Politiker von Union und SPD ging er jedoch nicht weit genug.

Von Seiten der SPD hieß es, dass mit der Union eben lange Zeit nicht mehr zu machen gewesen sei, erst durch die Kölner Fälle sei der Koalitionspartner bereit gewesen, das Sexualstrafrecht zu verschärfen. Die Union dagegen sagt: SPD-Minister Maas müsse “zum Jagen getragen werden”. Wochenlang warfen sich Sozialdemokraten und Unionspolitiker gegenseitig vor, die Reform zu blockieren.

Nach der Einigung mit der SPD geht Winkelmeier-Becker jetzt davon aus, dass der Änderungsentwurf der Fraktionen noch vor der Sommerpause beschlossen werden kann.

Quelle: http://www.abendblatt.de/politik/article207692173/Ein-Nein-ist-ein-Nein-Sexualstrafrecht-wird-verschaerft.html

Die Opfer sind Frauen

Die Opfer sind Frauen

Justizminister Heiko Maas strebt eine Reform des Sexualstrafrechts an. Sie ist gut gemeint, aber zu schwach. Es muss im Gesetz verankert werden, dass es schon Gewalt ist, wenn ein Täter gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers verstößt.

Das Model Gina-Lisa Lohfink beschuldigt zwei Männer, sie vergewaltigt zu haben. Doch die Staatsanwaltschaft in Berlin glaubt ihr nicht. Die Männer waren zumindest widerwärtig genug, ein Video der Szenen ins Netz zu stellen, von denen sie behaupten, es gehe um einvernehmlichen Sex. Der Film ist nun gelöscht, dass die offenkundig benommene Lohfink darauf wiederholt “Hör auf” sagt, hat die Staatsanwaltschaft nicht überzeugt, da stets nur einzelne Handlungen gemeint gewesen seien. Man wundert sich da schon, es ist aber Sache des Gerichts, die Wahrheit zu finden.

Ganz unabhängig davon, wer nun recht hat und recht bekommen wird, weist der Fall auf grundsätzliche Probleme des Sexualstrafrechts hin, auf Defizite zu Lasten der Opfer nämlich – und diese Opfer sind in den meisten Fällen Frauen, die Täter Männer. Nur hier mutet das Gesetz dem Opfer zu, eine bestimmte Rolle zu spielen: Es muss sich seinem Peiniger deutlich entgegensetzen oder mit Gewalt gezwungen werden. Ist das Opfer aber zum Beispiel vor Angst stumm und apathisch, wehrt es sich vor lauter Schock nicht, sind die Kriterien einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung nach Paragraf 177 des Strafgesetzbuches meist nicht erfüllt. Es genügt nicht einmal, Nein zu sagen, obwohl Nein nicht schwer zu begreifen ist.

Typische Delikte dieser Art geschehen nicht so häufig nachts durch Fremde in dunklen Gassen, sondern meist im sozialen Nahbereich. Viele Frauen, die von den eigenen Männern geprügelt und missbraucht werden, sind seelisch gar nicht mehr imstande, sich so zu wehren, wie es das Gesetz von ihnen verlangt. Das Ganze ist so, als würde ein muskulöser Straßenräuber, der einen alten Herrn auffordert, ihm sofort sein Geld zu geben, nur als einfacher Dieb bestraft, weil das verängstigte Opfer nicht protestiert und sein Portemonnaie überreicht hätte, statt sich mit dem Krückstock zur Wehr zu setzen.
Eine Reform der Reform ist nötig. Ihr Prinzip: Nein heißt Nein

Dabei hat die Bundesrepublik 2011 die Istanbul-Konvention des Europarates unterzeichnet: Nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen sollen unter Strafe stehen. Was gibt es daran misszuverstehen? Aber geltendes Recht ist das in Deutschland noch nicht geworden. Nicht einmal die gut gemeinten Reformpläne für das Sexualstrafrecht durch Justizminister Heiko Maas (SPD) schließen diese Schutzlücke wirklich. Völlig zu Recht fordern Abgeordnete aller Parteien nun die Verankerung des Prinzips: Nein heißt Nein. Es verlangt ja niemand, dass künftig jeder Flirt als versuchtes Sexualverbrechen zu bewerten wäre, solche Behauptungen sind ideologischer Unsinn. In einem fraktionsübergreifenden Eckpunktepapier von Abgeordneten heißt es: “Der Täter muss gegen den Willen des Opfers handeln, um eine Strafbarkeit zu begründen. Das Opfer muss einen der sexuellen Handlung entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringen” – ob es nun Nein sagt, weint oder sich wehrt. Das sind klare und vernünftige Prinzipien.

Ein Gegenargument lautet, in vielen Fällen würde der Beweis schwerfallen oder gar nicht möglich sein. Dann stehe Aussage gegen Aussage, besonders, wenn das Geschehen länger zurückliegt und es keine Beweismittel mehr gibt. Das ist in der Tat ein Problem, kann aber nicht bedeuten, dass man dann eben gleich auf die Anwendung des Strafrechts verzichten soll, Pech für die Opfer. Ähnlich haben die Gegner des heutigen Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe lange Zeit argumentiert, die Praxis hat sie dann widerlegt.
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Auch bei ihnen klang immer eine Haltung mit, derzufolge nicht wahr sein dürfe, was man nicht wahrhaben will. Es bleibt also eine Aufgabe des Staates, das Sexualstrafrecht endgültig von jenem Geist vieler Jahrzehnte zu lösen, in dem die Rechte der Frauen als nachrangig galten.

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/sexualstrafrecht-die-opfer-sind-frauen-1.3029620

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