Altersfrage bei Flüchtlingen Kinder mit Bärten

Altersfrage bei Flüchtlingen Kinder mit Bärten

Ein 19 Jahre alter Junge gibt an, zwölf zu sein. Er geht zur Schule, dealt mit Drogen, verprügelt Mitschüler. Solche Extremfälle lassen sich jedoch verhindern.

Er hatte Bartwuchs, trug Anzüge und Parfum. Er war zwar nicht sehr groß, aber doch ein ausgewachsener Mann. In der Schule war allen klar, dass er nicht zwölf Jahre alt ist. Aber seine Familie hatte es im Asylverfahren so angegeben. Geburtsdatum 1. 12. 2004. Wahrscheinlicher war, dass er schon volljährig war. Am Nikolaustag im Jahr 2016 kam er zum ersten Mal zum Unterricht. Die Oberschule im Süden Berlins war seine sechste Station. Warum er so oft die Schule gewechselt habe, wurde er gefragt. Er sei oft umgezogen.

Schon am ersten Tag stürmte er mitten im Unterricht aus dem Klassenzimmer. Er war aggressiv, aber auch sehr manipulativ. Er berichtete von seinem „Schultrauma“: Bomben hätten seine Schule im irakischen Mossul getroffen. Er kam nur unregelmäßig zum Unterricht und nutzte die Schule, um Drogen zu verkaufen. Immer warteten Leute auf ihn, immer tauschte er etwas aus und ließ sich von den Lehrern nicht erwischen. Er war oft zugekokst, hatte Mädchen und drei Rechtsanwälte.

Das ging so weiter, bis der Krankenwagen vor der Schule stand. Schlägerei. Drei Schüler waren bereit, gegen Abbas R. auszusagen. Welche Waffen er stets mit in die Schule brachte zum Beispiel: Schlagring, Schlagstock, Elektroschockgerät, Messer und Pfefferspray. Wie er andere Schüler angegriffen hat. Die Zeugen waren auch Flüchtlinge, zwei afghanische Jungs und ein ägyptisches Mädchen. Abbas war nach der Schlägerei selbst verletzt und lag im Krankenhaus. Er saß mit dem Handy im Bett und drohte seinen Mitschülern, wollte sie von ihrer Zeugenaussage abbringen. Die gesamte Flüchtlingsklasse war wochenlang völlig aufgelöst, an Unterricht nicht zu denken.

Fast 100 Einträge in der Polizeiakte

Die Polizei kannte Abbas. Er hatte fast hundert Einträge. Darunter gewerblichen Drogenhandel und Körperverletzung. Polizisten kamen auch an die Schule. Ob er wirklich zwölf Jahre alt sei? Die Lehrer: Natürlich nicht. Aber wie alt war er? War er strafmündig, also mindestens vierzehn? Als er im Krankenhaus war, hätte man eine medizinische Altersbestimmung machen können. Hätte. Das Jugendamt, so heißt es, war nur dann hilfreich, wenn es um Schulmaterialien ging.

Abbas war dann nicht mehr an der Schule. Er machte ein Praktikum in einem Steakhouse. Dort wurde er im Mai 2017 gemeinsam mit seinem Vater festgenommen. Der Generalbundesanwalt teilte mit: Ihnen wird vorgeworfen, als Mitglieder des „Islamischen Staats“ im Irak Kriegsverbrechen begangen zu haben. Das wahre Alter von Abbas wurde medizinisch ermittelt. Er war volljährig.

Die extreme Geschichte von Abbas zeigt, wie in der Asylpolitik in Deutschland geltendes Recht außer Kraft gesetzt wird. Die Familie behauptete bei der Einreise einfach, Abbas sei 2004 geboren. Und das wurde so akzeptiert. Das war im Jahr 2015, als die Asylbehörden derart überfordert waren, dass sie vieles einfach hingenommen haben, was sie nie hätten hinnehmen dürfen.

Falsche Angaben zum Alter haben nicht nur Auswirkungen auf die Strafverfolgung. Auch für die tatsächlich Schutzbefohlenen in den Schulen kann es bedrohlich sein, wenn Erwachsene mit ihnen zusammengebracht werden. Weil Abbas angab, zwölf Jahre alt zu sein, war er schulpflichtig und konnte so gewalttätig gegenüber Mitschülern werden, Kindern und Jugendlichen. Das traf insbesondere Flüchtlingskinder, die womöglich traumatisiert sind von Krieg und Flucht.

Warum war es überhaupt möglich, dass Abbas als strafunmündiger, kleiner Junge durchging? Warum konnte Hussein K., der Mörder der Freiburger Studentin, behaupten, er sei 17, obwohl er etwa zehn Jahre älter ist? Im ersten Fall kam der Mann mit seiner Familie, damit hat die Asylbehörde versagt. Im zweiten Fall, Hussein K., der sich den Status eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings erschlich, war es das Jugendamt, das nicht genug geprüft hat und damit den Betrug möglich machte.

Gibt es in Deutschland also „eine Art Staatsversagen“, wie der CDU-Politiker Jens Spahn es im Herbst 2015 nannte? Fälle wie Abbas R. zeigen, dass in deutschen Schulen Erwachsene mit Kindern in die gleiche Klasse gehen. Das untergräbt massiv das Ordnungs- und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Im Rechtsstaat Deutschland müssen Geburt, Heirat und Sterbefall angezeigt werden. Es gibt eine Mitwirkungspflicht, und wer fälscht, begeht eine Straftat. Das gilt auch für Asylbewerber. Sie sind verpflichtet, ihre Identität nachzuweisen, sofern ihnen dies möglich ist. Wollen sie die Vorteile des Rechtsstaates in Anspruch nehmen, müssen sie sich an seine Regeln halten.

Die Inobhutnahme eines Volljährigen durch das Jugendamt ist unzulässig. Und eine Zumutung für die Jugendämter, die dann weniger Kapazitäten haben, um die wirklichen Flüchtlingskinder zu betreuen. Deswegen schätzen die Jugendämter zuerst das Alter ein, wenn keine Personaldokumente vorliegen. In Berlin etwa nimmt das Landesjugendamt eine sogenannte qualifizierte Inaugenscheinnahme vor. Das Gespräch führt ein Sozialpädagoge des Landesjugendamtes zusammen mit einem Psychologen. Sie sitzen in der Erstaufnahme- und Clearingstelle und notieren die äußerlichen Merkmale des Flüchtlings, sein Verhalten im Gespräch und seine Aussagen. Ein Dolmetscher übersetzt. Hinterher wertet das Team den Befund aus. Bestehen Zweifel, wird eine medizinische Alterseinschätzung gemacht. Die Mitarbeiter haben Erfahrung mit Migranten, die sich jünger machen, als sie sind.

Schaut man sich die Zahlen in Berlin an, so hat das selbst in den kritischen Jahren der Flüchtlingskrise einigermaßen geklappt. 2015 kamen 4252 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Hauptstadt. Weil sie sich nicht ausweisen konnten, wurden 2714 Ankömmlinge mittels einer solchen qualifizierten Inaugenscheinnahme bewertet. Nach dem Gespräch erklärte das Jugendamt jeden Fünften für volljährig. Nur 39 Personen mussten einen medizinischen Test machen, von denen dem Gutachten nach fast alle erwachsen waren. 2016 waren die Verhältnisse ganz ähnlich, nur gingen die Flüchtlingszahlen insgesamt schon leicht zurück. 2017 waren es dann noch weniger.

Jeden Fünften erklärte das Jugendamt für volljährig

Vielleicht war der Anteil der Erwachsenen, die behaupteten, sie seien minderjährig, in Wahrheit noch etwas höher. Aber das ist Spekulation. Bei den Zahlen über Alterstests, die in dieser Woche verbreitet wurden, muss eines unbedingt beachtet werden: Wenn das Klinikum Saarbrücken oder das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bekanntgeben, dass nach dem Test ein Drittel beziehungsweise die Hälfte der Migranten für volljährig befunden wurde, dann sind das ein Drittel oder die Hälfte der Zweifelsfälle, bei denen die Jugendämter oder Strafverfolgungsbehörden eine Überprüfung angeordnet hatten.

Über diese Tests wurde in den vergangenen Tagen heftig debattiert, auch wegen des Flüchtlings in Kandel, der eine fünfzehnjährige Deutsche erstochen hatte. Die Verknüpfung der Themen Mord an einer Deutschen und Altersfeststellung ergab ein hochexplosives Gemisch. „Könnte Mia noch leben?“ fragte die „Bild“-Zeitung. Und gab auch gleich die Antwort: „Tödliches Behördenversagen“. Das erweckt den Eindruck, das Jugendamt trage Schuld am Tod des Mädchens, indem es den Afghanen als Fünfzehnjährigen einstufte. Der Kreis Germersheim, bei dem das zuständige Jugendamt angesiedelt ist, teilte daraufhin mit, dass eine Volljährigkeit „derzeit von allen Beteiligten ausgeschlossen“ werde. Sein Alter wird jetzt medizinisch überprüft.

Die Tests dauern nur zwei Stunden

Der CDU–Bundesinnenminister Thomas de Maizière forderte daraufhin strengere Vorgaben an die Jugendämter. Es könne „nicht ins Belieben einzelner Behörden gestellt sein, wann Zweifel angenommen und Maßnahmen eingeleitet werden“. CSU-Politiker sprachen sich für eine obligatorische Altersprüfung bei jungen Migranten aus. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, lehnte das ab. Er nannte die Untersuchungen aufwendig, teuer und ungenau. Das wiederum sehen viele Rechtsmediziner anders. Die Tests dauern nur etwa zwei Stunden und kosten rund 1500 Euro.

Ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling kostet den Staat pro Jahr 60.000 Euro, fünfmal mehr als ein Erwachsener. Auch die Genauigkeit der Tests verteidigen Rechtsmediziner wie Andreas Schmeling, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik, oder Klaus Püschel, Rechtsmediziner am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Beide sagen, sie könnten sehr sicher einschätzen, ob jemand volljährig ist oder nicht. Und in diesem Punkt gesteht sogar Montgomery zu: „Das Einzige, was Sie mit Sicherheit feststellen können: Wenn alle Wachstumsfugen geschlossen sind, ist der Mensch älter als 21 Jahre.“ Einer seiner Hauptkritikpunkte ist die Strahlenbelastung durch das Röntgen, „an einer besonders strahlensensiblen jungen Gruppe, ohne medizinische Indikation“.

Das Handwurzelröntgen ist aber unbedenklich: 0,1 Mikrosievert Strahlung werden dabei aufgenommen. Das ist weniger als das, was ein Passagier am Flughafen während der Gepäckkontrolle abbekommt. Da dieser Wert allein zu ungenau ist, wird meist noch der Kiefer geröntgt, da ist die Strahlenbelastung höher: bis zu fünfzig Mikrosievert.

Manche Bundesländer ergänzen das durch eine Computertomographie der Schlüsselbeingelenke. Das führt zu einer Strahlenbelastung von weiteren 600 bis 800 Mikrosievert. Zum Vergleich: Der deutsche Durchschnittsbürger bekommt im Jahr etwa 2000 Mikrosievert durch Röntgenstrahlung ab, dazu 1000 bis zu 2000 Mikrosievert durch die normale Umgebungsstrahlung.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat in dem Zusammenhang 2009 festgestellt, dass nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine „im Rahmen des Üblichen liegende Gesundheitsgefährdung des zu Untersuchenden durch Röntgenbestrahlung hinzunehmen und nicht als Gesundheitsnachteil im Sinne der Vorschrift aufzufassen ist“.

Genauigkeit von plus/minus zwei Jahren

In einem Punkt stimmt Montgomery dem grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zu. Wenn Zweifel bestünden, dann müsse gelten, was ohnehin schon heutige Rechtslage sei: Wenn Entscheider einen Menschen für volljährig halten, dann hat dieser das Recht, dagegen Einspruch zu erheben und mit seiner Einwilligung Untersuchungen vornehmen zu lassen.

Palmer geht aber weiter. Er fordert „regelhafte Untersuchungen“ bei alleinreisenden jungen Männern, weil ansonsten die Gefahr von Straftaten steige. Wer als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in Obhut des Jugendamtes ist, der wird nicht abgeschoben. Minderjährige, die eindeutig auch als solche erkennbar sind, nimmt Palmer aus. Sie sollten nicht standardmäßig überprüft werden.

Die medizinischen Altersüberprüfungen haben eine Genauigkeit von plus/minus zwei Lebensjahren. Deswegen wird immer das jüngstmögliche Alter angegeben. So war es auch bei Abbas R., dem angeblichen Zwölfjährigen. Die Röntgenuntersuchung an der Uniklinik Hamburg ergab, dass Abbas mindestens 19 Jahre alt ist.

Noch gehen die Bundesländer unterschiedlich vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lobt das Hamburger Modell. Hamburg wendet, genau wie Berlin, ein stufenweises Verfahren mit nichtmedizinischen und medizinischen Methoden an. Rechtsmediziner und Politiker von CDU und SPD fordern nun bundeseinheitliche Verfahren zur Altersfeststellung.

Quelle: http://m.faz.net/aktuell/politik/inland/altersfrage-bei-fluechtlingen-kinder-mit-baerten-15377977.amp.html?__twitter_impression=true

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