Es muss erst noch schlimmer kommen, bevor es besser wird

Es muss erst noch schlimmer kommen, bevor es besser wird

Die Legitimationskrise des Parteienstaats ist mit Händen zu greifen. Obwohl die Angst der Bevölkerung seit der Flüchtlingskrise enorm gewachsen ist, macht die Politik weiter, als sei alles im Lot.

Wenn einmal die Chroniken der Bundesrepublik Deutschland geschrieben werden, dann wird die neue Völkerwanderung aus fernen und fremden Kulturen die Zäsur bilden, die nichts so ließ, wie es einmal war. Es gibt eine Zeit davor und eine Zeit danach, und dazwischen ist die Unschuld des Wohltuns verloren gegangen. Von Willkommenskultur ist nur noch ironisch die Rede.

Es herrscht mehr und mehr Ratlosigkeit, verbunden mit dem Sankt-Florian-Prinzip zwischen den EU-Staaten. Die politischen Parteien in ihrem Diskurs wundern sich, dass alle Wohltaten, die unter das Volk gestreut werden, nicht Beruhigung schaffen und selbst die brummende Wirtschaft als Palliativ versagt. Aus Gewohnheit und Mangel an Fantasie verdrängen sie, dass es nichts so sehr ist wie Angst, die die Menschen umtreibt, wenn sie an das Morgen denken.

Ernster Zweifel hat sich eingefressen in Politik, Parteien und das Grundvertrauen zwischen Bürger und Staat. Das wird sich nicht von selber korrigieren, sondern erfordert schmerzhaftes Nachdenken und entschiedenes Umlenken. Erfahrungsgemäß aber muss es erst noch schlimmer kommen, bevor es besser wird, mit unbestimmtem Datum.

Mit verschränkten Armen

Die Maßstäbe sind verloren gegangen zusammen mit der Bereitschaft, vorhandene Steuerungsinstrumente zu nutzen. Die geschäftsführende Bundesregierung lässt es an Beschwichtigung und Schönreden nicht fehlen, wohl aber an beruhigenden Taten. Unwillentlich zwar, facht sie damit Zorn, Angst und Protest erst recht an.

Die AfD, die die Machtgeometrie im Bundestag gründlich neu zeichnet und aus dem Abseits die Geschäftsgrundlagen verändert, einengt und lähmt, ist nicht Ursache, sondern Resultat einer Politik, die ihr Versagen billigend in Kauf nimmt, ja sogar zuschaut, wie Normen und Regeln bachab gehen.

Die Kanzlerin, gestern noch als mächtigste Frau der Welt gefeiert und bewundert, lässt das Geschehen gewissermaßen mit verschränkten Armen ablaufen, als sei sie Zuschauer und nicht verantwortliche Gestaltungskraft.

Im Lande steigt die Angst auf, dass niemand mehr die bestimmenden Ereignisse vorauszusehen, zu lenken und anzuhalten weiß. Geschichte findet statt in Gestalt nie da gewesener Umbrüche, das ist allenthalben spürbar.

Die deutsche Politik aber straft die Außenwelt gewissermaßen mit Wegschauen: Man suche bitte einmal nach einer halbwegs adäquaten Beschreibung im Sondierungspapier der – vielleicht – künftigen Koalitionäre: stattdessen Aufbruch ins Unbekannte, Sprung ins Dunkle.

Eine dreifache Legitimationskrise bedroht die Rechts- und Verfassungswirklichkeit in deutschen Landen, wie sie lange galt und nunmehr, wenn man die Lässigkeit im Umgang wahrnimmt, offenbar nicht mehr gilt. Ein Staat aber, der sich selbst nicht respektiert, seine Staatsräson ignoriert und die Zustimmung seiner Bürger verliert, kann nicht dauern. Noch ist es nicht so weit. Aber auf der dahintreibenden „MS Deutschland“ hört man das Donnern der Stromschnellen voraus.

Zum einen ist da die Unsicherheit der Grenzen, wie die Kanzlerin sie, als Panik zur Willkommenskultur umgedeutet wurde, eingestand: 3000 Kilometer Grenze seien nicht zu schützen. Ein Staat aber, der seine Grenzen nicht schützen kann und dessen berufene Sprecher andeuten, dass er das vielleicht auch gar nicht mehr anstrebt, gibt sich selber auf. Hat man nicht bemerkt, dass die Feststellung offener Grenzen eine offene Einladung war, die große Reise zu versuchen?

Zum Zweiten ist da die Unwilligkeit, Führung zu geben und Verantwortung zu übernehmen. Das reicht von Lindners Liberalen bis zu AfD und Linker, von den zurückscheuenden Sozialdemokraten nicht zu reden: Republik ohne Republikaner? Haben nicht Bundeskriminalamt, Bundespolizei, ernste Medien und besorgte europäische Nachbarn gewarnt, sich gewundert und wieder gewarnt?

Gutseinwollen hat seinen Preis

Ein deutscher Sonderweg tut sich auf, wie ihn alle früheren Regierungen strengstens zu vermeiden wussten. Das Gutseinwollen – den Völkern leuchtendes Beispiel, ohne sonderliche Rücksichtnahme auf aufsteigende Zweifel, rechtliche Normen und allfällige Verwahrungen – hatte seinen Preis. Er besteht in einer strukturellen Dauerkrise, die nicht so bald besseren Zeiten weichen wird.

Die AfD ist, drittens, ein Bürgerprotest, nicht Ursache, sondern Folge jenes Unbehagens, das die neuen Völkerwanderungen wie nie zuvor politik- und parteifähig machten. Die AfD aber ist da, um zu bleiben, und kein moralischer Bannspruch wird helfen. Der Rückweg zu den vergleichsweise idyllisch erscheinenden Verhältnissen der Vergangenheit ist versperrt. Die Umkehr wird schwierig, wahrscheinlich unmöglich.

Der Abwehrverzicht der letzten Jahre kam aus vielen Richtungen: historisch schlechtes Gewissen, international verpflichtende humanitäre Normen, in der Industrie die Rechnung auf qualifizierte Arbeitskräfte, bei den Grünen die romantische Verklärung des Fremden und manche andere Antriebskräfte mischten sich.

Sie definieren fortan die Zukunft machtvoller als jede Regierung in Berlin und anderswo. Die Krise kam nicht wie der Dieb in der Nacht, sondern in langen Zügen des Elends und der Verzweiflung, aber auch der Suche nach besserem Leben in Europa, vorzugsweise Deutschland.

Es waren Aufbrüche aus fern und nah, die nur eines trieb, in glücklicheren Breiten Rettung, Sicherheit, Hoffnung und ein besseres Leben zu finden als in den Kriegs- und Krisenzonen Nordafrikas und des Mittleren Ostens.

Aber Deutschland, wo sonst doch alles reguliert und überreguliert wird, wartete ab. Bis es zu spät war. Amtliche Hilflosigkeit, die nicht wahrhaben will, was vor aller Augen sich abspielt, treibt die Krise noch einmal voran, aus der sie entstand: nicht heimlich und unbemerkt, sondern im vollen Tageslicht, mit öffentlichen Wegweisern Richtung Deutschland, einer global operierenden Schlepperindustrie und eitlen Bekundungen, dieses Mal auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und zu handeln. Es gibt eine Hybris des Guten im Übermaß, und sie ist eine sehr deutsche Versuchung.

Geschichte wiederholt sich nicht. Bonn war nicht Weimar, und die Berliner Republik wird auch nicht dem Weimar-Schicksal folgen, von Anfang an belagerte Civitas zwischen Weltkrieg und Großer Depression, mit schwachen Regierungen und ungezähmten inneren Konflikten.

Nein, so wird es nicht kommen. Es wird diesmal ganz anders sein. Entgrenzung ist am Werk. Immer aber gilt, dass eine Republik ohne Republikaner nicht von Dauer sein kann. Die Politiker zeigen sich überfordert. Unterdessen treibt das Gemeinwesen in Richtung Verfassungskrise.

Quelle: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article172916494/Fluechtlingspolitik-Es-muss-erst-noch-schlimmer-kommen-bevor-es-besser-wird.html

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